Der Falke und die Wasserfrau

Die Wasserfrau hatte beschlossen, wieder zurück an die Oberfläche zu kehren. Nachdem sie in die Tiefen der See getaucht war, wurde es Zeit nach oben zu schwimmen. Der lustige und fröhliche Entdeckergeist mit seiner offenen Art hatte sie gelockt und da saß sie nun. Das letzte Wasser tropfte von ihrem Haar, den Schimmer der Sonne verzierend auf sich abbildend. Diese ließ sie in ihr Gesicht scheinen. Sie war ganz unbeschwert leicht und saß auf einem Felsen, nah am Wasser, umringt vom grünen Gras als ein Falke angeflogen kam.

Der Falke saß sich vor sie auf einem Stein und betrachtete sie durch seine moosgrünen Augen. Er war ganz angetan von der Schönheit der Wasserfrau, er habe vorher noch nie so eine gesehen. Von irgendwoher kannte sie ihn. Sie konnte sich aber nicht erinnern. Der Falke fing an zu plaudern und die Wasserfrau war ganz amüsiert von seinen Worten. Dabei blickt sie immer wieder in das Grün seiner Augen, welches sie faszinierte.

Es hatte sich schon einmal einer dieser Raubvögel zu ihr gesessen, doch dieser flog gleich zu ihr auf den Arm. Er war schwarz mit gelbrot unterlaufenden Augen und hatte Pech am Gefieder, das an ihrem Arm klebte und es kostete einigen Kraftaufwand diesen loszuwerden. Ihr Herz zuckte zusammen als sie daran dachte. Doch der Falke hier war anders. Sein Gefieder war braun mit hellen Tönen und es glänzte. Außerdem klebte er nicht an ihrem Arm, sondern saß vor ihr auf einen Stein.

Der Falke erzählte ihr seine Geschichte, davon, dass er schon mal sehr nah am Himmel flog und sich beinahe seine Flügel in der Sonne verbrannte. Seither fliege er lieber etwas niedriger, nah an der Erde, sodass er das Leben hier genau studieren und beobachten könne, denn von den Gestirnen dort oben halte er nicht mehr viel. Dabei wurde die Wasserfrau etwas traurig, war sie doch dem Mond und all den Sternen in ihrem Wesen so nah.

Wieder blickt sie in das Grün seiner Augen und fragte sich, woher sie ihn kenne. Sie tauchte tiefer in seine Augen ein und sah das Gesicht eines Mannes, der sie warmherzig anschaut. Sie verspürte tiefe Zuneigung. Als er eine Augenbraue hob, musste sie herzhaft lachen. Sie wollte ihm ihr Herz schenken, das hell aufleuchtete und ganz aufgeregt hüpfte, doch eine Mauer umschloss es noch ganz fest. Sie war etwas vorsichtig geworden, hatte sie doch in ihrer Zeit an der Oberfläche schon einiges Schreckliches erlebt.

Als sie merkte, dass sie abgeschweift war, erweckten die Worte „Der Fluch des Falken“ wieder ihre Aufmerksamkeit. Der Falke berichtete davon und die Wasserfrau war ganz neugierig und setzte sich näher zu dem Tier heran. Sie hing an seinem Schnabel, lauschte der Geschichte, lachte hell auf, wenn sie wieder etwas lustig fand und legte sich beherzt ins Gras. Sie betrachtete den Vogel von unten. Wie schön er doch sei, dachte sie bei sich. Während des Erzählens berührten die Federn des Falken zart den Körper der Wasserfrau. Eine Welle der Erregung floss durch ihren Körper, die feucht fröhlich wieder abebbte.

Als die Wasserfrau spürte, dass es an der Zeit war, wieder ins Wasser zu gehen, merkte sie auf einmal eine Angst in den Augen des Falken. Die Wasserfrau war etwas verwirrt, denn für sie als Wasserfrau wäre es doch ganz normal wieder zurück ins Wasser zu gehen. Der Falke aber konnte das nicht begreifen. Er lebt ja in den Lüften und auf dem Land. Fragend schaute er sie an und die Wasserfrau kam sich auf einmal ganz falsch vor. Ja, wieso musste sie denn auch ins Wasser? Wieso konnte sie denn nicht hier an Land bleiben, bei dem Falken und seine Geschichten lauschen, mit ihm lachen?

Sie fing an, an sich zu zweifeln, sich selbst Vorwürfe zu machen und fühlte sich falsch. Falsch eine Wasserfrau zu sein. Sie wollte auch gern ein Vogel sein oder wenigstens eine Erdenfrau, damit sie nicht zurück ins Wasser muss. Tränen liefen wie kleine Bäche ihre hellrosa Wangen hinab und ihr Herz war erfüllt mit tiefer Trauer. Eine Trauer, die sie schier zu verschlingen drohte.

Der Falke saß neben ihr und beobachtete sie, mit dem Kopf zur Seite. Er verstand nicht ganz, was in der Wasserfrau vorging und war wieder leicht verängstigt.

Da hörte die Wasserfrau den Klang des Wassers, der in ihren Tränen wiederhallte. Dieser Klang war erfüllt von Leichtigkeit, Freude und Vergnügen. Die Wasserfrau lächelte etwas und erinnerte sich an ihre Heimat, die Tiefe der See mit ihren vergnügten Wellen, deren Schaum sich lustvoll an Land beugt. Das verspielte Plätschern der Bäche, das geheimnisvolle Grunden des Sees und das tobende Rauschen des Wasserfalls. All das war sie, war ihre Heimat. Auf einmal lachte sie hell auf. Ich spring jetzt zurück ins Wasser, rief sie.

Dem Falken war das ungeheuer. Er hatte Angst. Angst, dass von ihrem Springen seine Flügel nass werden würden und er nicht mehr fliegen könne. Außerdem war er ein Vogel, er wollte weder tauchen noch im Wasser umherplantschen. Das war vielleicht was für die Enten, aber für einen Falken wie ihn kam das nicht in Frage. Und wie solle er sie sehen, wenn sie unter Wasser ist? Er habe zwar scharfe Augen, aber auf den Meeresgrund könne er nicht blicken. Wie könne er sich sicher sein, dass sie wieder zu ihm an die Oberfläche kommt? Ihm graute vor den Gedanken und er flog weg.

Unter der Wasseroberfläche angekommen, sah die Wasserfrau ihm nach. Schade, dachte sie bei sich, ich mochte ihn gern und schwamm vergnügt ihren Weg.

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